Canivez, Joseph

Joseph-Marie Canivez
Foto: Cistopedia

Joseph-Marie Canivez OCSO

Zisterzienser der Abtei Scourmont; Ordenshistoriker

* 20. Nov. 1878 Binche, Hennegau
† 24. Nov. 1952 Chimay-Les Forges

Joseph-Marie Canivez, Taufname Ovide, wurde am 20. November 1878 als jüngstes von fünf Kindern in der kleinen Stadt Binche im belgischen Hennegau geboren, wo sein Vater Ursmer Canivez mit seiner Frau Valérie geb. Degandt ein Optikergeschäft führte. Von seinem zwölften Lebensjahr an besuchte er das bischöfliche Collège de Bonne-Espérance in Binche und trat nach dem Schulabschluss auf den Rat seiner Lehrer hin in das Noviziat der Jesuiten in Arlon ein, das er aber nach anderthalb Jahren wieder verließ, weil er nicht Lehrer werden wollte. Stattdessen trat er sechs Monate danach, im September 1899, in die reformierte Zisterzienserabtei Scourmont in Chimay-Les Forges ein.

Nachdem er sich 1900 als Freiwilliger für die Wiederbesiedlung der vom Orden zurückgewonnenen Abtei Cîteaux in Frankreich gemeldet hatte, setzte er dort sein Noviziat fort und begann mit dem Theologiestudium. Im April 1902 legte er in Cîteaux die Profess ab, kehrte aber im folgenden Jahr mit Erlaubnis des Generalkapitels nach Scourmont zurück. Dort setzte er seine theologischen Studien fort, teilweise im Selbststudium, legte am 25. April 1905 die feierliche Profess für Scourmont ab und wurde am 8. Oktober d.J. in der Kathedrale von Tournai von Bischof Charles-Gustave Walravens zum Priester geweiht.

In der Folge wurde er von Abt Norbert Sauvage beauftragt, monatlich Vorträge über die Heilige Schrift zu halten und, nachdem 1909 von der Religiosenkongregation ein viertes theologisches Studienjahr vorgeschrieben worden war, dieses Fach an der Hauslehranstalt zu lehren. 1908 zum Zeremoniar ernannt, beschäftigte er sich mit der Liturgie. Über dreißig Jahre hinweg oblag ihm deshalb auch, das Manuale caeremoniarum von Robert Trilhe zu vermitteln und umzusetzen. Seit dieser Zeit nahm er auch an den ersten Sitzungen der Liturgiekommission teil. Nachdem er, was damals im Zisterzienserorden der strengeren Observanz nicht allgemein üblich war, an der Lateranuniversität bei Alexis Presse Kirchenrecht studiert hatte, erhielt er im Juli 1914 ein Lizentiat in Kirchenrecht.

Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs nach Scourmont zurückgekehrt, musste er dort wegen der Einberufung vieler Mitbrüder vier Jahre lang als einziger Professor alle theologischen Fächer lehren, wozu noch seine Aufgaben als Zeremoniar, Novizenmeister der Chormönche und Succentor (2. Kantor) kamen. Nach Kriegsende waren seine Aufgaben nicht weniger vielfältig: Professor für Geschichte (1919–1920), Professor für Moraltheologie und kanonisches Recht (1919–1924), Bibliothekar (1924–1952) und sogar Photograph (1932).

Die erste Frucht seiner Berufung als Historiker und Lektor war 1926 das Werk L'Ordre de Cîteaux en Belgique, gedacht als Einführung zum Gebrauch der Novizen und Konversen. 1927 folgte die die Neubearbeitung der dritten Auflage der Histoire de l‘abbaye d’Orval von Nicolas Tillière (der zwei weitere Auflagen folgten). Im selben Jahr folgte die Herausgabe des unveröffentlicht gebliebenen Auctariums (1665) des Carolus de Visch, Prior der Abtei Ten Duinen/Les Dunes, dessen Originalhandschrift in der Bibliothek des Priesterseminars von Brügge aufbewahrt wird. Canivez bearbeitete den Originaltext und erstellte die Fußnoten. Von 1927 an arbeitete er am Dictionnaire d‘histoire et de géographie ecclésiastiques mit. In diesem Zusammenhang entstanden insgesamt dreihunderteinundfünfzig Artikel, von denen besonders die Einträge zu Bernhard von Clairvaux (Band 13, Sp. 610–644) und Cîteaux (Bd. 12, Sp. 852–997) hervorzuheben sind. Dazu kommt die Mitarbeit am Dictionnaire de spiritualité, ascétique et mystique und am Dictionnaire de droit canonique, im ganzen sechsundzwanzig Artikel, darunter eine umfangreiche Arbeit über die Gesetzgebung des Zisterzienserordens.

Das Lebenswerk, wofür sein Name bis heute steht, war die Erarbeitung und Herausgabe der achtbändigen Statuta capitulorum generalium ordinis Cisterciensis (Löwen 1933–1941), die alle Generalkapitelsbeschlüsse des Zisterzienserordens bis zur Französischen Revolution enthält und mit einem Register erschließt.[1] Canivez hatte diese von dem verstorbenen Kanonikus (und ehemaligen Zisterzienser) August Robert Trilhe begonnene Arbeit von seinem ehemaligen Kirchenrechtsprofessor und damaligen Abt von Tamié Alexis Presse übernommen. Presse hatte die handschriftlichen Aufzeichnungen Trilhes an Canivez übergeben, dem nun die Mammutaufgabe zufiel, 67 Handschriftenüberlieferungen, die in 39 Archiven verstreut waren, abzuschreiben und zu vergleichen, nicht eingeschlossen die schon herausgegebenen Fragmente und die Identifizierung von Orten und Personen. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, bediente er sich der damals noch nicht allgemein gebräuchlichen Technik des Mikrofilms. Die acht Oktavbände und der Registerband erschienen nach einigen Schwierigkeiten[2] in den Jahren 1933 bis 1941 als Faszikel 9 bis 14 der Reihe Bibliothèque d‘histoire ecclésiastique, wobei die Druckvorlage des letzten Bandes wunderbarerweise dem Bibliotheksbrand vom Mai 1940 entging, da er am Vortag zum Drucker geschickt worden war.

Seit dem Jahr 1936 war Canivez gesundheitlich angeschlagen, was durch die deutsche Besatzung des Klosters Scourmont während des zweiten Weltkriegs noch verschlimmert wurde. Mehrmals musste er seinen Wohnort wechseln, mal nach Chimay, mal nach Bourlers, dann in die Klinik von Lobbes. In den Jahren 1942 bis 1944 war er fast ständig bettlägerig, gab aber seine wissenschaftliche Arbeit nicht auf.

Er starb am 24. November 1952 in der Abtei Scourmont und wurde am übernächsten Tag auf dem Friedhof begraben. Der belgische Staat hat ihn zum Ritter des Kronenordens ernannt.

gge, März 2017

  1. P. Gregor Müller von Mehrerau, der Schriftleiter der Cistercienser Chronik, war an dieser Thematik ebenfalls interessiert und hatte die Handschriften der Statuta von Luzern aufbereitet.
  2. Widerstand einiger Mitglieder des Generalkapitels und Finanzierungsprobleme

Daten:

Prof.: April 1902, 25. April 1905; Sac.: 8. Okt. 1905.

Werke:

Bibliographie.

Literatur:

Brouette, Émile: Dom Joseph-Marie Canivez, Historien de L'Ordre de Cîteaux, in: Cîteaux: Commentarii cistercienses 23 (1972), S. 122–128 (Nachruf mit mit ausführlicher Bibliographie).

Zitierempfehlung: Canivez, Joseph, in: Biographia Cisterciensis (Cistercian Biography), Version vom 31.03.2017, URL: http://www.zisterzienserlexikon.de/wiki/Canivez,_Joseph

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